In Bischofsburg hatten Deutschlehrer Herman Ebeling und seine Frau zu zwei literarischen Veranstaltungen eingeladen. Gern stellte Paul Gollan, Vorsitzender des Deutschen Freundeskreises, die Vereinsräumlichkeiten bereit.
Die Zusammensetzung der Teilnehmer war interessant: Es handelte sich um Schüler aus den verschiedenen Deutschkursen, deren Eltern und Damen des Singkreises. Nun stammen die Schüler der Deutschkurse nicht nur aus Bischofsburg, sondern kommen auch aus den umliegenden Ortschaften, wie Neudims, Wengoyen, Schönbruch, Bottau und Raschung. Da saßen Lehrer der vier örtlichen Schulen neben ihren Schülern, Eltern neben ihren Kindern, Ärzte, junge und ältere Menschen, Deutsche und Polen.
Es ist das Anliegen des deutschen Lehrers, daß auch deutsche Schriftsteller der Nachkriegszeit in Ostpreußen bekannt werden. So stellten die beiden Referenten den in Lyck geborenen Schriftsteller Siegfried Lenz vor, der jetzt in Hamburg lebt. Zunächst wurde eine der masurischen Geschichten aus "So zärtlich war Suleyken" gelesen. Dann wurde der Roman "Die Deutschstunde" vorgestellt: Der junge Strafgefangene Siggi Jepsen muß einen Aufsatz mit dem Thema "Die Freuden der Pflicht" schreiben.
Danach wurde "Das Heimatmuseum" skizziert: Das Leben des masurischen Teppichwebmeisters Rogalla. Schon in Masuren hatte dieser ein kleines Heimatmuseum und konnte auf der Flucht viele Stücke retten und mit Hilfe seiner Landsleute ein neues Heimatmuseum eröffnen. Dieses Thema interessierte die Zuhörer sehr, es wurde mehrfach nachgefragt, und Paul Gollan erzählte sogar von seiner Idee, selbst ein kleines Heimatmuseum einrichten zu wollen.
Die Referentin verschwieg in ihren Ausführungen natürlich nicht den sicher schweren Gang des Siegfried Lenz mit Willy Brandt nach Warschau zur Unterzeichnung der Ostverträge. Einige Zuhörer konnten denn auch die Handlungsweise des Schriftstellers nicht nachvollziehen. Über diesen Schritt von Lenz kam man in der Diskussion zu keinem einvernehmlichen Abschluß. Es sei denn, man betrachtet den Hinweis auf die stets offene Geschichte als solchen.
In einer weiteren Veranstaltung wurden die Zuhörer mit dem Werk des Hamburger Schriftstellers Wolfgang Borchert bekanntgemacht, der 1947 im Alter von 26 Jahren starb. Sein bekanntestes Werk, das in viele andere Sprachen übersetzt wurde, ist das Drama und Heimkehrerschicksal "Draußen vor der Tür", eine Anklage gegen den Krieg. Gelesen wurden zunächst aber drei Gedichte aus den ersten Jahren seines Schaffens, danach die Hymne "Hamburg", eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt, zwar in Prosa geschrieben, aber doch poetisch mit vielen Lautmalereien. Die drei Geschichten "Die Küchenuhr", "Nachts schlafen die Ratten doch" und "Die drei dunklen Könige" erzählen vom Schicksal der Menschen im zerbombten Hamburg.
Die Erzählungen Wolfgang Borcherts spielen fast alle in seiner Heimatstadt. Zuletzt wurde die längere, tragikomische Geschichte "Schyschiphusch" gelesen, die von zwei Männern erzählt, die sich in einem Gartenlokal an der Elbe begegnen und die beide den gleichen Sprachfehler haben, nämlich jedes "s" wie "sch" aussprechen. Dem kleinen Kellner ist die zu kurze Zunge angeboren, dem wohlhabenden Gast ist sie im Krieg durchschossen worden. Anfangs glaubten beide, der andere mache sich über ihn lustig, aber aus dem Verstehen wird Freundschaft.
Deutlich wurde an beiden Abenden, daß es den Veranstaltern nicht nur darum ging, Freude zu erzeugen, was man am besten mit einigen Beispielen der sogenannten Bestätigungsliteratur hätte erreichen können. Das Hauptanliegen war vielmehr, das Publikum auch zum Nachdenken über literarische und politische Fragen anzuregen, die eigene Meinung zu überdenken und unter Umständen neu zu formulieren. In dem mit kulturellen Ereignissen nicht verwöhnten Bischofsburg wurden beide Veranstaltungen auffallend positiv wahrgenommen. Als nächster Kulturvortrag ist ein Balladen-Abend geplant.
Johannes Gutt/Ebeling
Quelle: Rößeler Heimatbote, September 1994