Von Friedrich Podoll
Den ersten, allerdings indirekten Eisenbahnanschluß erhielt Bischofsburg am 01.12.1872 beim Bau der Eisenbahnhauptstrecke Thorn - Insterburg. In der Gemeinde Rothfließ, einem 8 km von der Stadt entfernten Gut, wurde ein Bahnhof eingerichtet. Das war für die Stadt bereits ein großer Fortschritt, trotz weiterhin bestehender Unbequemlichkeiten.
Für den Personenverkehr von und zum Bahnhof Rothfließ mußte ein privater Pferdeomnibusverkehr eingerichtet werden. Wie hoch die Beförderungskosten waren, ist nicht mehr festzustellen. Die ärmere Bevölkerung machte den Weg zu Fuß. Wagenladungen, die in Rothfließ ankamen, wie Kohle, Zement, Kalk und Düngemittel wurden von den Empfängern mit Pferdefuhrwerken abgefahren. Gleiches gilt für Getreide, Kartoffeln und Holz. Bei der Verladung von Tieren war es schon umständlicher. Großvieh wie Pferde und Rinder wurden geleitet oder getrieben; Kleinvieh wie Schweine, Kälber, Schafe und Gänse schaffte man mit dem Fuhrwerk zum Bahnhof Rothfließ. Der Stückgutverkehr wurde durch einen bahnamtlichen Spediteur wahrgenommen.
Dieser Zustand dauerte rund 26 Jahre. Erst beim Bau der Nebenbahnstrecke Zinten - Landsberg - Heilsberg - Seeburg - Rothfließ - Bischofsburg - Sensburg - Rudczany erhielt Bischofsburg am 01.09.1898 direkten Bahnanschluß. Es fielen nun die oben benannten Unbequemlichkeiten fort und Bischofsburg erfuhr durch den Bau dieser Nebenbahnstrecke wirtschaftlich einen großen Auftrieb, da jetzt auch die nördlich gelegene Stadt Seeburg mit ihren reichen Dörfern bequem die Kreisstadt erreichen konnte.
Der Bahnhof Bischofsburg wurde gleich großzügig ausgebaut, so daß die Nebenbahnstrecke Bischofsburg - Ortelsburg, die am 15.12.1908 eröffnet wurde, ohne große Umbauten eingeführt werden konnte. Der Bischofsburger Bahnhof erhielt ein Empfangsgebäude mit Diensträumen sowie Warteräume mit einer Bahnhofswirtschaft. Im Obergeschoß war die Dienstwohnung für den Bahnhofsvorsteher und die Wohnung für den Bahnwirt eingebaut. Mehrere Dienst- und Mietwohngebäude für das Personal des Bahnhofs und der beiden Bahnmeistereien, ein Güterabfertigungsgebäude mit angebauten Güterschuppen, Seiten- und Kopframpen, Viehbuchten und Gleiswaage, mehrere Bahnsteige, zwei Stellwerksgebäude, davon eins als Befehlsstellwerk für den Fahrdienstleiter, ein Wasserturm und mehrere Nebengebäude gehörten zum Bahnhof.
Zur Abwicklung des Betriebes und des Verkehrs war der Bahnhof mit dem Bahnvorsteher, einem Reichsbahninspektor, mehreren Reichsbahnsekretären und Assistenten, Stellwerkswärtern und Bahn- und Güterbodenarbeitern besetzt. Vorhanden war eine Bahnhofskasse, eine Fahrkartenausgabe, eine Gepäck- und Eilgutabfertigung, eine Güterabfertigung. Für den Betriebsdienst waren eine Fahrdienstleitung und Stellwerke vorhanden.
Zu der technischen und baulichen Unterhaltung der Strecke Rothfließ - Sensburg mit dem Haltepunkt Neudims und den Bahnhöfen Bischofsburg, Dombrowken, Sorquitten und Althöfen war eine Bahnmeisterei in Bischofsburg eingerichtet worden, die folgende Aufgaben wahrzunehmen hatte:
Zur Bearbeitung dieses umfangreichen Aufgabengebietes war folgendes Personal vorhanden: 1 Dienstvorsteher, 1 technischer Reichsbahninspektor, 1 Reichsbahnsekretär, 1 Rottenmeister, mehrere Rottenführer, 1 Signalwerkführer mit Helfer, 1 Leitungsaufseher mit Helfer, 1 Schmied,1 Maurer und eine große Zahl von Rottenarbeitern.
Aus dem Personal der Bahnmeisterei mußten der Nachschub und die Ablöser für den Bahnhof vorgehalten werden.
Der Verkehr auf den Nebenbahnstrecken verlief nicht immer reibungslos. So waren z. B. im Februar 1929 die Bahnen durch Schneeverwehungen tagelang stillgelegt. Besonders die Nebenbahn Zinten-Heilsberg-Rothfließ war durch Schneeverwehung acht Tage gesperrt. Trotz Schneezäunen und Schneehecken waren die tiefen Bahneinschnitte vollgeweht. Zunächst wurde die Räumung der Strecke mittels Schneepflug versucht. Er entgleiste und konnte nicht gleich aufgegleist werden. Dann wurde die Räumung durch eine 50 Mann starke Schneeräumungskolonne versucht. Was vorne geräumt war, wehte hinten sofort wieder zu. Es herrschte große Kälte bis 30 Grad C. Dazu wehte ein starker Ostwind mit viel Schnee. Es mußte abgewartet werden bis das Wetter sich besserte und eine Schneeschleuder zur Räumung frei war. Diese machte die Bahn frei. Ähnliche Verhältnisse lagen in ganz Ostpreußen vor. Die Schneeschleuder war von der Firma Schichau in Elbing gebaut worden. Das Schaufelrad hatte einen Durchmesser von 3 m und wurde durch eine schnellaufende Dampfmaschine angetrieben. Der Schnee mußte immer in der Windrichtung geschleudert werden. Das Schleuderrad konnte daher umgeschaltet werden. Die Schneeschleuder wurde durch eine starke Güterzuglokomotive geschoben.
Wie kalt es in Ostpreußen im Februar 1929 war, geht aus folgender Begebenheit hervor: Da in Ostpreußen viele Lokomotiven und Schneepflüge in Folge der starken Schneeverwehungen entgleist waren, konnten die Eisenbahnwerkstätten diese nicht so schnell aufgleisen. Es wurde daher von der Reichsbahndirektion in Breslau ein 100 t Gleiskran angefordert. Er sollte den Schneepflug, der zwischen den Bahnhöfen Frankenau und Seeburg entgleist war, aufgleisen. In Breslau war der Kran noch auf seine Betriebsfähigkeit untersucht worden. Als er aber hier zum Einsatz kommen sollte, hatte sich infolge des starken Frostes das starke Drahtseil so fest um die Seiltrommel gelegt, daß diese nicht zu bewegen war. Der Kran mußte ohne zum Einsatz gekommen zu sein, nach Breslau zurückgesandt werden. Als er in Breslau ankam, war er wieder betriebsfähig. Der Temperaturunterschied zwischen Breslau und Ostpreußen war zu groß gewesen.
Friedrich Podoll, Mülheim a. d. Ruhr, im Juni 1984