www.bischofsburg.de
Aus dem Leben der ev. Kirchengemeinde
Bischofsburg

von Helmut B o r u t t a, Pastor emeritus

Die oberste Kirchenbehörde der Gemeinde Bischofsburg, das Konsistorium, war in Königsberg. Eine Visitation des Generalsuperintendenten aus Königsberg war für die kleine Diasporagemeinde zwar ein seltenes, aber stets ein besonderes Geschehen, das im geistlichen Leben der Gemeindeglieder lange nachwirkte. Der Besuch des Generalsuperintendenten Gennrich wird noch manch einem Gemeindeglied in guter Erinnerung sein.

Bischofsburg gehörte zu dem Kirchenkreis Allenstein. Dort hatte der Superintendent seinen Sitz. Seine Aufgabe war es, alle 5 bis 6 Jahre die Gemeinde einmal zu visitieren. Aus diesem Grunde ist der Superintendent Lic. Wedemann der Gemeinde gut bekannt. Da er der Schwiegervater von Pfarrer Plitt war, hatte die Gemeinde die Freude, des öfteren den Superintendenten auf der Kanzel in Bischofsburg zu sehen. Obwohl Lic. Wedemann bereits 1937 das Amt des Superintendenten abgegeben hatte, stand er bis 1945 als 78-jähriger Seelsorger in Allenstein auf der Kanzel und half den verwaisten Gemeinden durch seinen Dienst aus.

Superintendent Rzadtki wurde sein Nachfolger, Unter größten Schwierigkeiten, vieles Unrecht ertragend, hat er bis 1946 seinen Kirchenkreis und damit auch Bischofsburg betreut.

Die Kirchengemeinde Bischofsburg hatte während ihrer 155-jährigen Geschichte als eigenständige Gemeinde 17 Pfarrer:

Pfarrer Lic. Günther war der letzte gewählte Seelsorger der Kirchengemeinde, der gleichzeitig Seelsorger der Militärgemeinde war. Das doppelte Amt stellte an den Pfarrer große Anforderungen. Als Militärpfarrer wurde Lic. Günther eingezogen. Im Mai 1945 geriet er in Kriegsgefangenschaft, im Januar 1949 kehrte er aus dem Kaukasus nach Deutschland zurück. Durch das Ablegen eines Colloquium erwarb Pfarrer Lic. Günther die Anstellungsfähigkeit in der Ev. Luth. Kirche Hannovers; sie übertrug ihm 1951 die Pfarrstelle in Neugraben bei Hamburg. Der Wechsel von Bischofsburg, einer ländlich geprägten pietistischen Diasporagemeinde, nach Neugraben in eine Industrie Großstadtgemeinde bedeutete für Pfarrer Günther eine große Umstellung, zumal er durch Krieg und russische Gefangenschaft gesundheitlich schwer angeschlagen war. Die Betreuung der Gemeinde Neugraben war keine leichte Aufgabe. Seine Ernennung zum stellvertretenden Superintendenten in dem Kirchenkreis Harburg, zu dem seine Gemeinde Neugraben gehörte, zeichnet seine Fähigkeiten als Seelsorger für die Gemeinde und als Amtsbruder unter den Pfarrern aus.

Mit dem Ableben von Pfarrer Günther am 3. Juli 1968 kam die Geschichte der deutschen evangelischen Geistlichen in Bischofsburg zum Abschluß.

Die Kirchengemeinde wurde für die letzten Jahrzehnte in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg in besonderer Weise durch Pfarrer Plitt geprägt. Er war 14 Jahre der Seelsorger der Gemeinde. Seine Nachfolger, Pfarrer Dr. Küppers aus Passenheim und Pfarrer Lic. Günther aus Mehlsack, konnten eine aktive und sehr fundierte Gemeinde übernehmen. Beide haben in bester Weise das Erbe erhalten, erweitert und das geistliche Leben vertieft. Durch das Heranziehen von akademisch gebildeten Laienpredigern wie Gemeinschaftspredigern war es Pfarrer Plitt gelungen, die ganze Gemeinde in ihrer Breite zu erfassen und Gemeindeglieder für die Mitarbeit zu gewinnen. Die vielen und treuen Mitarbeiter in verschiedenen Ämtern und in den Vereinen der Frauen und Jugendarbeit waren von großer und für viele Jahrzehnte hin bis zu der Auflösung und der Vertreibung der Gemeinden von tragender Bedeutung.

Manch einer, dessen Haar in der Zwischenzeit auch weiß geworden ist, wird voller Dankbarkeit an den gütigen alten Herrn mit dem weißen Haar, Kantor Plitt, denken. Viele Jahre hindurch hat er den Kindergottesdienst gehalten. In manch ein Herz "seiner" Kinder hat Kantor Plitt das große Vertrauen zum göttlichen Wort gelegt. Aus den Anfängen dieser Arbeit ist durch die Initiative von Pfarrer Günther eine große Kindergottesdienstbeteiligung entstanden. Vier freiwillige Kindergottesdiensthelfer standen dem Pfarrer bei. Das war für die Kirchengemeinde in der damaligen Zeit, in der die religiöse Unterweisung weniger geschätzt wurde, ein gutes Zeichen. Dieser Geist ist es gewesen, der die Kirchengemeinde zum Anschluß an die Bekennende Kirche veranlaßte.

Der Erfolg eines Pfarrers in der Gemeinde geht zu einem großen Teil auf die Mitarbeit der Gemeindekirchenräte, wie die Kirchenvorsteher in Bischofsburg genannt wurden. Auch in dieser Hinsicht war die Gemeinde mit den Herren Weinert, Stuertz, Barann, Daum, Frank, Rieth, Paul Schultz, Xanke, Eisenblätter und Skalden hervorragend besetzt. Daß die Kirchengemeinde von der "Machtübernahme" der Deutschen Christen verschont geblieben ist, war der Geschlossenheit des Kirchenrates zu verdanken.

Es war nicht immer leicht für den Kirchenrat, mit dem Pfarrer die gesteckten Ziele zu erreichen und plötzlich entstandene Notzustände zu beheben. Rückschauend ist nur zu bestätigen: der Kirchenrat hat mit seinem Vorsitzenden vorbildliche Arbeit geleistet, was es auch war und zu welcher Zeit es auch geschehen ist, z. B. die Anschaffung der neuen Glocke 1924: damit hatte der Turm ein Geläut wie vor dem 1. Weltkrieg. Die Glocken "g" (570 kg) und "b" (450 kg) mußten zu dem Geläut der katholischen Kirche abgestimmt sein, um eine ohrenschmerzende Disharmonie zu verhindern. Es war für den Kirchenrat selbstverständlich, darauf zu achten. Drei Jahre nach der Anschaffung der Glocke baute der Kirchenrat eine moderne Heizung in das Gotteshaus ein. Leider litt die Ausmalung der Kirche unter der Luftumwälzheizung; so mußte die Kirche eine neue Ausmalung haben. 1934 wurde diese durchgeführt.

Zu diesen Arbeiten kam das Instandhalten der Friedhöfe, der Gebäude in Bischofsburg und der Kapellen in den Außenorten. Die finanzielle Belastung war für die Gemeinde wie für den Kirchenrat groß; es wurde des öfteren darüber gestöhnt.

Es kam aber auf die Gemeinde eine noch größere Belastung zu. Am 24. 1. 1937 entstand durch die Heizung ein Kirchenbrand. Der Schaden war erheblich. Eine dreifache Neubelastung kam auf den Kirchenrat zu: Beseitigung der Brandschäden, Installierung einer neuen Heizung und das Ausmalen der Kirche. Der Pfarrer mit dem Kirchenrat und der Gemeinde haben den Schaden beheben können.

Hier muß ein anerkennendes Wort zu dem Verhalten der Gemeinde geschrieben werden. Es ist die allgemeine Erfahrung gemacht worden, daß durch das Verlegen der Gottesdienste in andere Gebäude der Gottesdienstbesuch nachläßt und schwer und oft gar nicht sich nachholen läßt. Das war in Bischofsburg nicht der Fall. Wo die Gottesdienste auch gehalten wurden, im Preußenhaus 1934 oder im Lichtspielhaus Capitol 1937, sie waren immer gut besucht. Bischofsburg hat immer versucht, aus allem das Beste zu machen. Vakanzzeiten sind für eine Gemeinde Notzeiten. Für den Kirchenrat bedeutet die Vakanz der Gemeinde zusätzliche Belastung. Dank des Einsatzes von Herrn Eisenblätter und später von Herrn Skalden hat die Gemeinde es leicht gehabt, solche Zeiten zu überstehen. Es waren immer Pfarrvertreter zur gebotenen Stunde da. Den Laien, die in jenen Zeiten Lesegottesdienste hielten, gebührt auch nach so vielen Jahren der Dank. Es ist nie, soweit ich mich besinnen kann, in der Vakanz ein Gottesdienst ausgefallen. Auch die Lesegottesdienste wurden treu und gut besucht.

Kantor Haack, der Hauptlehrer der ev. Volksschule, hat nicht nur die Orgel gespielt. Durch seinen Schülerchor sowie durch den Kirchenchor bereicherte er die Gottesdienste. Er hat viele Lesegottesdienste in Bischofsburg und manch eine Beerdigung in den umliegenden Kapellengemeinden gehalten. Als er nach seiner Pensionierung nach Berlin zog, blieb dank seiner Bemühungen die Orgelbank nicht leer. Viel Mut hatte EIse Klein, die gerade die Oberschule absolviert hatte, sich auf die Orgelbank setzte und den würdigen Kantor ersetzte. Nach mehr als 40 Jahren muß ich schreiben: Else, Du hast es gut gemacht! Zwei Kinder aus Bischofsburg, eines auf der Orgelbank, das andere auf der Kanzel, hielten den Gottesdienst.

Ein wichtiger Mitarbeiter (von größerer Bedeutung als man gewöhnlich annimmt!) für den Ablauf von Gottesdiensten, Gottesdiensthandlungen und Benachrichtigungen ist der Glöckner. Ich habe ihn ja nur als Kind erlebt, den Herrn Korn. Seiner Erscheinung und seinem Habitus nach sah man es ihm an, daß er es mit viel Geistlichkeit zu tun hatte. Er war uns Kindern eine Respektsperson, eine ideale Glöcknererscheinung. Sein Nachfolger, Herr Paschkowski, war ein ganz anderer Typ seines Amtes. Er war für mich der erste Glöckner, mit dem ich als Kandidat amtlich zu tun hatte. Ich denke gern an ihn zurück. Er hat mich manches gelehrt, besser zu tun. Jeder Mensch ist irgendwie ein Original. Die Glöckner aber scheinen es in besonderer Weise zu sein. Das war auch der feine ruhige Kurt Engels, ein Spielgefährte aus der Kinderzeit, zurückhaltend und respektierend. In den Zeiten, da ich den Pfarrer in Bischofsburg zu vertreten hatte, bildeten wir die Organistin, der Glöckner und ich ein Trio, das sich aus der Kinderzeit kannte.

Mit Dank wird manch ein Bischofsburger der Kirchengemeinde der Diakonissen Elisabeth Kuster, Anna Roszik und Wilhelmine Koppetsch gedenken; sie haben in jeder Hinsicht der Gemeinde einen Dienst erwiesen, der nicht zu hoch angesetzt werden kann. Immer waren sie bereit zu helfen, zu heilen und zu trösten.

Unvergessen werden auch rnanch einem nun schon alt gewordenen Gerneindeglied Herr Eisenblätter und Frau Eggers bleiben, die sich selbstlos in beispielhafter Weise der Jugendarbeit angenommen hatten. Beide haben manch einem Jugendlichen geholfen und ihm den Weg für das Leben gezeigt. Eine besondere Fachausbildung für Jugendarbeit hatten beide nicht. Sie hatten die Gabe, das Charisma, Jugend anzusprechen, zu interessieren, zu führen und für die Mitarbeit zu gewinnen. Ihr Angebot für die Jugend war sehr vielseitig. So wie es in kirchlicher Jugendarbeit sein muß, stand die Heilige Schrift im Mittelpunkt. Es ging um nüchternes Wissen, um Glaubensfragen, um Zeitgeschehen, um Weiterbildung und abwechslungsreiche Unterhaltung. Gewisse Höhepunkte für die Jugendlichen waren Fahrten zu größeren regionalen Jugendtreffen, wie in Danzig, Allenstein, Heilsberg, Rößel und Hohenstein. Einen besonderen Anreiz zur Mitarbeit in den Jugendkreisen boten die öffentlichen Gemeindeabende. In gewisser Hinsicht waren es Kulturveranstaltungen, die der Gemeinde das Tor für die weite Welt öffnen sollten.

Einen hohen Stellenwert nahm das Jahresfest in dem Gemeindeleben ein; es fand zur Winterszeit statt. Die Träger der Veranstaltung waren die Frauenhilfe und die Jugendvereine. Es wurde ein besonderer Festausschuß gebildet, der alles organisierte. Seine Aufgabe war es, die verschiedensten Gerneindeglieder anzusprechen und für die Mitarbeit zu gewinnen. Wenn Frau Daum oder Frau Borbe ein Gemeindeglied ansprachen, bei den Aufführungen mitzuwirken, dann willigte jeder ein.

Wie markante Monolithen ragen in meiner Erinnerung zwei der Jahresfeste hervor: ein Fest mit der Aufführung "Die Tochter des Demetrius". Wie auf den Leib zugeschnitten war die Rolle des römischpn Konsuls Pilatus auf den Maschinenfabrikbesitzer Bruno Westphal: Dieser kantige, sprechende Kopf mit der leuchtenden Glatze, auf dem für die Rolle typischen Körper die Toga, dazu der imponierende Baß, ein wahrer Römer! Der war er auch in dern Spiel. Ganz anders war das zweite Jahresfest, das bei mir nach mehr als 40 Jahren nicht vergessen ist. Es war das Fest, auf dem eine Freundin von Frau Daum, eine Solotänzerin aus Berlin, auf der Bühne im Preußenhaus auftrat. Das war für die Bischofsburger ein einmaliges Erlebnis. Wie eine Nymphe kam die Künstlerin auf die Bühne geschritten, zart und graziös im azurblauen Gewand schwebte sie über die Bretter der Bühne hinweg, sie formte Gebärden und Figuren zu dem der ganzen Gemeinde bekannten Lied: "Der Mond ist aufgegangen." Die meisten Teilnehmer erlebten zum erstenmal den Tanz als Ausdruck der Freude, des Lobes, eines inneren Erlebnisses, wo der Mensch sich durch Bewegungen zu erkennen gibt und seinem Empfinden Ausdruck verleiht.

So weit gefächert war das Angebot in der Gemeinde. Sie war immer bestrebt, wenn auch nicht alles, so doch aber allen etwas für das Leben des Einzelnen zu bieten, das seinem Leben Sinn und Ziel gab.

Von allem heißt es nun: Es war einmal. Ja, es war! Doch was einmal war, ist nicht vergeblich gewesen. Es hat uns geformt und wirkt weiter nach bis in die uns verfügbare Gegenwart.

Quelle: "Der Kreis Rössel" -Ein ostpreußisches Heimatbuch- von Erwin Poschmann 4. Aufklage, 1993, Herausgeber: Heimatbund des Kreises Rößel

zur Übersicht