Geschichte der evangelischen Kirche in Bischofsburg seit 1772
Von Johannes Hassenstein
Daß in Bischofsburg schon in vorchristlicher Zeit menschliche Ansiedelungen bestanden haben, geht zweifellos aus den am 10. November 1910 auf dem damals dem Superintendenten Hassenstein in Allenstein, heute der Kirchengemeinde gehörigen Garten gemachten Ausgrabungen hervor, welche achtzig Gräberfunde zu Tage gefördert, welche aus der Zeit der Urbewohner Preußens herstammen. Nach der Ansicht des Professors der Altertumskunde Dr. Peiser in Königsberg haben damals zwei Dörfer bestanden, das eine größere hinter dem jetzigen Bahnhof, das andere kleinere, wo jetzt der genannte Garten gegenüber dem Jeschonneckschen Gartengrundstück liegt.
Daß hier ebenso wie in den andern ermländischen Städten trotz des strengen Verbots eines Bischofs Hosius sich fort und fort Evangelische aufgehalten haben, ist umsomehr anzunehmen, als die Stadt durch ihre Handelsbeziehungen und an der Hauptstraße von Warschau nach Königsberg gelegen, unausgesetzt Verbindung mit dem Nachbargau, in welchem das Evangelium bald nach Luthers Auftreten Eingang gefunden, unterhalten hat.
Das erste Verlangen nach regelrechter geistlicher Versorgung nach der Besitzergreifung Ermlands scheint von schlesischen Seidenfabrikanten in der Nähe von Bischofsburg im Verein mit den Evangelischen, welche in der Stadt wohnten, gekommen zu sein.
Diese schlesischen Seidenfabrikanten hat Friedrich der Große nach der Besitzergreifung Ermlands hineingerufen, ebenso wie auch Tabakfabrikanten von ihm in die Stadt hineingezogen sein sollen. Als ich vor vierundvierzig Jahren in die Gemeinde kam, zeigte man mir noch bei der Kolonie Wilhelmstal an der Sensburger Steinstraße zwischen den Gütern Groß und Klein Parlöse ein mit einer hohen Mauer umfriedigtes Gehöft, von dem man erzählte, es hätte eine Pflanzung Maulbeerbäume dort gestanden, um Seidenraupen darauf zu ziehen. Schon vor der Anstellung eines Pfarrers in Bischofsburg arbeitete hier ein Katechet, da bereits 1787 ein Bethaus von dem Könige dort erbaut und der Gemeinde geschenkt ist.
Im Jahre 1791 wird dann Dietrich Gottfried Niedt, von dem Fürstbischof Graf von Krasicki, dem Freunde Friedrichs des Großen, diesem für die dortige evangelische Pfarrstelle vorgeschlagen(!) und darauf als erster ermländischer evangelischer Geistlicher und zugleich als Lehrer der Jugend von dem Etats-Ministerium unter dem 28. Novemder 1791 mit einem Gehalt von 120 Talern berufen.
Nachdem er am 27. Januar 1792 an der Schloßkirche zu Königsberg für den Dienst am Wort in der Gemeinde geweiht und am 19. März 1792 in Bischofsburg am Palmsonntag eingeführt war, hielt er am Karfreitag seine Antrittspredigt und teilte Ostern das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt aus.
Es wurden ihm im Jahre 1796 die Evangelischen zwei Meilen im Umkreise als Pfarrsprengel zugeteilt, gleichzeitig auch die Evangelischen in und um Seeburg als Tochtergemeinde von Bischofsburg zugewiesen, so daß er ein reiches Arbeitsfeld erhielt.
Als Niedt, der Begründer der Gemeinde, dessen Bild ebenso wie das seiner Nachfolger im Gemeindesaal des Pfarrhauses zu sehen ist, achtzehn Jahre in Aufopferung der Gemeinde gedient hatte, wurde er von der Regierung als Pfarrer nach Juditten bei Königsberg berufen. Ihm wird nachgerühmt, daß er durch sein freundlich wohlwollendes Wesen aller Herzen gewonnen habe, zumal er es auch verstanden habe, den Frieden mit den Andersgläubigen zu wahren.
Von den vierzehn Geistlichen, die ihm nacheinander folgten und die wir im Nachtrage aufgezählt finden, heben wir nur einzelne hervor unter deren Amtsführung besonders wichtige geschichtliche Vorkommnisse zu verzeichnen sind. Nachdem in den ersten Jahren nicht darauf geachtet, mußte bei späteren Anstellungen darauf Bedacht genommen werden, daß der Pfarrer auch der masurischen Sprache mächtig sei, da sehr bald schon hundert polnische Abendmahlsgäste in ihrer Muttersprache das Sakrament des Herrn begehrten. Der bisherige Prediger in Jedwabno und Malga, Johann Friedrich Anders, der achte Pfarrer non Bischofsburg, genügte dieser Forderung und kam im Jahre 1840 dorthin.
Ihm wurde die Aufgabe zuteil eine Kirche in den Jahren 1842-1846 zu bauen. König Friedrich Wilhelm IV. hatte bereitwilligst für die Baukosten 14 172 Taler aus Staatsmitteln bereitgestellt, nachdem zuvor zum Ankauf des Bauplatzes 843 Taler gezahlt waren. Der König hatte die Bestimmung getroffen, daß die Kirche im Basilikastil nach dem Muster der Friedenskirche in Potsdam zunächst ohne Turm gebaut werden sollte.
Als der König im Jahre 1845 Ostpreußen bereiste, kam er auch nach Bischofsburg und sah die im Bau begriffene Kirche sich an. Kaum hatte er sie betreten, so schlug er mit der Hand und rief aus: "Verbaut, verbaut!" und verließ unwillig das Gotteshaus. In der Tat ist es ein großer Mangel, daß durch die den Fenstern vorgebauten Emporen der Eintritt des Lichts gehindert wird, das Schiff der Kirche in ausreichender Weise zu erleuchten. Sonst ist es ein schönes würdiges Gotteshaus, ein bleibend Denkmal königlicher Huld.
Im Jahre 1841 ließ Anders den Bau des Schulhauses ausführen und legte den Grund zu dem prachtvoll schönen Pfarrgarten, den ich im Jahre 1873 noch vorfand, der aber jetzt seine Herrlichkeit eingebüßt hat. Tausende von Rosen in den verschiedensten Farben, weiß, rot, gelb, entzückten im Sommer das Auge, herrlicher Wein gedieh am Spalier, ausgezeichnetes Obst lieferten die zahlreich vorhandenen Obstbäume.
Anders erlebte auch den Einzug der Hessenkolonie im Jahre 1844 in Rothfließ. Eine Kommission hatte unter glänzenden Versprechungen zehn. Handwerkerfamilien von Pfungstadt im Hessischen nach Ostpreußen auszuwandern bewogen. Sie waren nach Rothfließ gekommen, um dort Ackerbau zu treiben und deutsches Wesen, deutsche Sitte und Art in die polnisch-katholische Gegend zugleich mit dem Evangelium hineinzutragen. Dieser Versuch ist völlig mißlungen. Wenn sie auch Grundstücke mit sechzig bis siebzig Morgen Ackerland für ihr mitgebrachtes Geld (5-6000 Mark besaß jede Familie) zugewiesen bekamen, was half das, wenn sie keine Ahnung von Ackerwirtschaft hatten und nicht wußten, worauf es ganz besonders in Ostpreußen für den Landmann ankommt. Schon im Jahre darauf, als sie dem Könige auf der Brücke von Rothfließ mit ihrer rotweißen Hessenfahne sich vorstellten - die Fahne hat bis zu meinem Abgange noch auf der Orgelempore hinter der Orgel zum Andenken an die Hessen und ihr Geschick gestanden - klagten sie bitter, daß sie falsch berichtet gewesen und die ihnen gemachten Versprechungen nicht erfüllt, ihre Kinder keinen evangelischen Lehrer hätten und sie keinen evangelischen Prediger, der König möge Abhilfe schaffen, bäten sie inständigst.
Der König tröstete und versprach Abhilfe. Die kam auch bald. Für die Kinder mußten die benachdarten evangelischen Lehrer aus Labuch und Bansen am Mittwoch und Sonnabend nachmittags herauskommen und ihnen in der Krugstube Unterricht erteilen, darüber beschwerten sich wieder die Katholiken: es sei unwürdig, in einer Krugstube Unterricht zu erteilen, dazu sei doch ihre Schule da, dort könnten doch die evangelischen Lehrer unterrichten. Dagegen erklärten die Hessen starrköpfig, wie sie waren, kein Fuß eines Hessenkindes werde die Schwelle einer katholischen Schule betreten. Was blieb da übrig? Man wendete sich an die Evangelischen in der alten Heimat, die legten 1500 Mark zusammen und für diese Summe kaufte dann der Nachfolger von Anders, Pfarrer Tyrol, ein Grundstück mit Holzwohnhaus, Scheune und 2,5 ha Ackerland und Wiese. Dort wurde eine Gustav-Adolf-Schule eingerichtet, ein Wanderlehrer angestellt und für Hessen und andere evangelische Kinder hier Schule gehalten.
Aber alle Mühe war umsonst. Die Hessen konnten nicht gehalten werden. Nach wenig Jahren gaben sie ihre Kolonistenaufgabe preis, sie waren ihr nicht gewachsen gewesen, und zogen entweder ganz verarmt in die alte Heimat zurück, nahmen ihr altes Handwerk wieder auf oder wurden Frachtfuhrleute.
Tyrols Nachfolger, Ebel, hat das Verdienst, das kleine aber gemütliche und anheimelnde Pfarrhaus im Jahre 1860 gebaut zu haben. Dessen Nachfolger Majewski fiel die Aufgabe zu, den schon von seinem Vorgänger eifrig vorbereiteten Turmbau in den Jahren 1868-1872 ausführen zu lassen. Die Kosten für Turm und Uhr betrugen 15 000 Mark. Die Turmweihe fand am Reformationsfeste den 31. Oktober 1872 durch den Superintendenten Seidenstücker aus Heilsberg statt, welcher mich am 8. März 1874 in das Pfarramt der dortigen Gemeinde eingeführt hat. Nachdem ich sechs Jahre im Schulamt zugebracht, war es nicht leicht, den Dienst an dieser zweisprachigen Gemeinde mit einer großen Diaspora von tausend Seelen und dem geringen Einkommen von 1900 Mark zu übernehmen. Ich mußte, wollte ich durchkommen, vier Zöglinge ins Haus nehmen und mit diesen wie vier andern Kindern aus der Stadt und meinen eignen Kindern eine Privatschule einrichten, in welcher meine Frau mir treulich als Gehilfin zur Seite trat.
Gott half wunderbar bei dieser Doppelarbeit. Die kleine Landwirtschaft, die ich in Garten und Feld betrieb, gab reichlichen Ertrag. Ich konnte, als ich am 13. Juli 1882 von der Gemeinde Abschied nahm, auf achteinhalb Jahre voll Mühe und Arbeit aber auch voll Erfahrungen reicher Gnadendurchhilfe meines Gottes zurückblicken.
Nach dem vom 15. Juli 1882 bis 1. April 1884 die Pfarrstelle unbesetzt geblieben und die Gemeinde von den umliegenden Pfarrern notdürftig geistlich versorgt worden war, folgte der Bruder des Vorgängers, Rudolf Hassenstein, bis dahin Rektor und Prediger in Köpenick.
Die wichtigsten Ereignisse, die in die Zeit seiner Amtsführung fallen, sind die Anlegung des neuen Friedhofs an der Bahnhofstraße, der im Jahre 1890 in Gebrauch genommen wurde, das hundertjährige Jubiläum der Kirchengemeinde Bischofsburg am 29. Mai 1892, und der Kapellenbau in Rothfließ, für welchen samt dem dazugehörigen Wohnhaus 12 000 Mark erforderlich waren. Diese Summe hat er durch unablässiges Bitten in neun Jahren zusammengebracht. 9000 Mark gaben die Gustav-Adolf-Vereine dazu her, 3000 Mark der Evangelische Oberkirchenrat. Pfarrer Rudolf Hassenstein hat den Beginn des Baues noch vorbereiten können, mußte die Vollendung aber seinem Nachfolger, Pfarrer Grützbach, überlasen. Am 27. Oktober 1895 wurde sie vom Generalsuperintendenten D. Braun geweiht.
Aus Anlaß der im Septemder 1897 in der Diözese Allenstein abgehaltenen Generalkirchenvisitation fühlte sich das Mitglied derselben, Rittergutsbesitzer Sarasin auf Bergenthal, veranlaßt, einen Morgen Land zum Bau einer Kapelle auf seinem Gut zu schenken und seinen Bruder in der Schweiz und seinen Schwager in Hamburg zu namhaften Geldgeschenken für diesen Zweck zu bewegen. Nachdem der Gustav-Adolf-Verein 2 060 Mark und die Gemeinden der Provinz 6500 Mark durch Sammlungen zusammengebracht und das Gut Bansen das Holz zum Bau geschenkt, waren die Mittel mit 10 000 Mark beisammen und der Bau konnte im Jahre1900 in Angriff genommen werden und die Weihe der schönen würdigen Kapelle am 18. Oktober 1900 stattfinden. Dem rührigen Pfarrer Grützbach gebührt das Verdienst im Verlauf von drei Jahren die Baukosten zusammengebracht zu haben. Dem treuen Sohne seiner Kirche, Herrn Rittergutsbesitzer Sarasin aber ebenso wie seiner unvergeßlichen edlen Gemahlin Frau Anna Sarasin geborene Schlubach, folgt unser Dank über das Grab hinaus für das, was sie in ausopfernder treuer Liebe getan, um hier an dieser Stätte ein Haus zu bauen, worin Gottes Ehre wohnen und die Gemeinde sich erbauen sollte.
Der eifrige Seelsorger der Gemeinde ließ sich aber an diesen beiden Kapellen in Rothfließ und Bergenthal nicht genügen, er plante eine dritte Kapelle in Raschung. Der nie ermüdende Gustav-Adolf-Verein brachte wieder mit Hilfe der Gemeinden Ostpreußens die erforderliche Bausumme zusammen. Am 14. Juli 1914 wurde der Gundstein gelegt und der Bau begonnen. Durch den Weltkrieg ist aber dieser wie alle andern in Angriff genommenen kirchlichen Bauten zum Stillstand gekommen.
Wie diese Bauten so hat der in seinen Plänen nimmer rastende Pfarrer auch den Erwerb der evangelischen Schule und des zwischen Kirche und Pfarrhaus gelegenen Speichers durch die Gemeindekörperschaften durchzusetzen gewußt, hat das Pfarrhaus ausgebaut und einen Gemeindesaal eingerichtet. Im Jahre 1915 verließ Grützbach die Gemeinde um nach Cranz zu gehen.
Ihm folgte der Pfarrer Gustav Plitt, der im Juli 1915 von dem Superintendenten Hassenstein in sein Amt eingeführt wurde.
Anhang:
Evangelische Geistliche in Bischofsburg:
Dietrich Gottfried Niedt 1791-1810, Wilhelm Lux 1811-1812, Johann Ferdinand Wolff 1812-1814, Friedrich Wilhelm Reuter 1814-1816, Karl Friedrich Dork 1816-1827, Johann Heinrich Nadrowski 1828-1833, Karl Friedrich Eduard Grawert 1833-1839, Johann Friedrich Anders 1840-1848, Karl Christoph Tyrol 1848-1858, Dr. Johannes Wilhelm Ebel 1859-1865, Gustav Adolf Majewski 1866-1873, Johannes Hassenstein 1874-1882, Rudolf Hassenstein 1884-1894, Emil Grützbach 1895-1914, Gustav Plitt 1915.
Quelle:"Die Geschichte der evangelischen Kirchen im Ermland seit 1772"
von Johannes Hassenstein, Superintendent a.D. (früher Allenstein)
Königsberg i. Pr., Verlag von Gräfe Unzer, 1918